Rotkreuz-Experte Christof Johnen: Lage im syrischen Ost-Gutha dramatisch - Trümmerlandschaft wie Dresden 1945
Der Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), Christof Johnen, sprach mit dem Journalisten Benjamin Moscovici über die dramatische Lage der Menschen in Ost-Gutha.
FRAGE: Die Bilder von Tod und Zerstörung aus Ost-Ghuta stammen vor allem von Rebellen und Aktivisten. Sie haben eigene Quellen. Wie schlimm ist die Lage der Zivilisten?
JOHNEN: Das Leid der Menschen ist kaum vorstellbar. Die medizinische Infrastruktur ist weitestgehend zerstört. Es fehlt an allem, die Verwundeten können nicht versorgt werden.
FRAGE: Richten sich die Bombardierungen gezielt gegen Zivilisten und Krankenhäuser?
JOHNEN: Ob das gezielt geschieht, kann ich nicht sagen. Aber entgegen der klaren Vorgaben des Humanitären Völkerrechts werden militärische Ziele und zivile Einrichtungen nicht eindeutig genug unterschieden und dadurch wird mindestens billigend in Kauf genommen, dass Hunderte von Zivilisten sterben.
FRAGE: Ost-Ghuta wird seit Jahren belagert. Wie haben die Menschen dort überlebt?
JOHNEN: Schon 2014 sahen die Orte in der östlichen Ghuta aus wie die TrümmerlandSchäften in Dresden 1945. Die Menschen hungern, sind völlig ausgezehrt, es gibt kaum noch sauberes Wasser. Aus Mangel an Treibstoff verbrennen die Menschen alte Autoreifen und Plastikmüll. Jetzt hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschlimmert. Zum Schutz vor Bomben findet fast das gesamte Leben nur noch in unterirdischen Kellern statt. Einfachste Besorgungen an der Oberfläche sind nur unter Lebensgefahr möglich.
FRAGE: Woran mangelt es am meisten?
JOHNEN: Die Menschen sterben, weil es an den einfachsten Dingen fehlt. Schon mit Verbandsmaterial und Schmerzmitteln könnte man sehr vielen helfen. All das steht bereit. Das Problem ist: Alle Seiten blockieren Hilfslieferungen insbesondere mit medizinischem Material. Dahinter steckt die perfide Logik, dass Medikamente den Gegner wieder kampffähig machen könnten.
FRAGE: Der jüngste Versuch der Vereinten Nationen, eine Waffenruhe zu vereinbaren, ist gescheitert. Lässt die Welt die Eingesperrten im Stich?
JOHNEN: Ein Waffenstillstand wäre sehr wichtig für die Menschen. Aber noch wichtiger ist, dass wir als Helfer so schnell wie möglich zu den Menschen kommen können. Eine Waffenruhe würde uns die Arbeit zwar erleichtern, aber wir sind in den letzten Jahren bescheiden geworden mit unseren Wünschen. Wir brauchen nur die Garantie, dass unsere Helfer nicht angegriffen werden. Es hilft nicht weiter, wochenlang über eine mögliche Waffenruhe zu sprechen. Wir müssen jetzt sofort zu den Verletzten. Viele weitere Menschen werden sterben, wenn wir nicht schnell Hilfe leisten können.
FRAGE: Begeht das syrische Regime Kriegsverbrechen?
JOHNEN: Das humanitäre Völkerrecht sagt ganz klar, dass keine Waffen eingesetzt werden dürfen, bei denen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden werden kann. Dort ist auch klar geregelt, dass die Zivilbevölkerung zu jedem Zeitpunkt geschützt werden muss. Insofern sind die Bombenangriffe auf dicht besiedelte Gebiete wie in der östlichen Ghuta und auf medizinische Einrichtungen klare Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Ob das Kriegsverbrechen sind, müssen Juristen beurteilen.